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Ein Biomarker für Alterssterblichkeit

Die Konzentration des Nervenzellproteins Neurofilament light chain (NfL) im Blut steht möglicherweise mit der Lebenserwartung hochbetagter Menschen in Verbindung, berichtet ein internationales Team um Prof. Mathias Jucker. Das NfL-Protein ist ein Baustein aus Nervenzellen, das in niedriger Konzentration im Blut nachweisbar ist. Sein Blutspiegel steigt mit zunehmendem Alter oder aufgrund neurodegenerativer Erkrankungen. „Es ist bekannt, dass zum Beispiel bei Alzheimer-Patienten eine erhöhte NfL-Blutkonzentration mit kürzerer Lebenszeit korreliert“, erklärt Professor Dr. Mathias Jucker vom HIH. „Daher interessierte uns, ob hohe NfL-Blutwerte auch mit Alterssterblichkeit von Personen zusammenhängen, die keine offensichtlich neurodegenerative Erkrankungen haben.“

Um die Frage zu beantworten, nahmen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Sterbedaten von hochbetagten Personen, bei denen zuvor im Alter von 100 Jahren Blutproben entnommen wurden. Sie verglichen die Blutwerte mit dem Sterbealter. „Wir beobachteten einen deutlichen Zusammenhang zwischen NfL-Blutkonzentration und verbleibender Lebensspanne“, berichtet Erstautor Stephan Käser. „Dieses Ergebnis bestätigte sich dann bei einer weiteren, etwas jüngeren Probandengruppe, die bei der Blutentnahme 93 Jahre alt war.“

Um auszuschließen, dass die beobachtete Korrelation nicht alleinig auf präsymptomatischen neurodegenerativen Erkrankungen beruht, unternahm das Forscherteam einen weiteren Schritt. „Bei Mäusen altert das Gehirn ohne die typischen neurodegenerativen Erkrankungen, die bei uns Menschen auftreten können“, erklärt Jucker. „Trotzdem sahen wir eine ähnliche altersabhängige Zunahme des NfL-Blutspiegels.“ Setzten die Wissenschaftler die Mäuse auf Diät – eine gängige Labormethode um ihre Lebensdauer zu verlängern – beobachteten die Wissenschaftler einen viel geringeren altersbedingten Anstieg. „Die erhöhten NfL-Werte scheinen also den normalen Alterungsprozess des Gehirns und Nervensystems widerzuspiegeln.“

Die Forscher sind daher zuversichtlich, einen molekularen Biomarker gefunden zu haben, der zur Prognose der Alterssterblichkeit beiträgt. Bemerkenswerterweise zeigte die Studie, dass die NfL-Konzentration im Blut die verbleibende Lebenszeit ebenso oder sogar zuverlässiger prognostizierte als die körperliche und kognitive Fitness. Letztere wurden bei den Studienteilnehmern anhand etablierter Tests, Activity of Daily Living (ADL) und Mini-Mental State Examination (MMSE), bewertet. Beide Tests werden oft bei geriatrischen Untersuchungen eingesetzt. „Die Untersuchungen könnten künftig durch einen Bluttest ergänzt und so noch aussagekräftiger werden“, schlägt Jucker vor.

Die Studie ist in der Fachzeitschrift Nature Aging erschienen und ist eine Zusammenarbeit zwischen dem HIH, der Universität Tübingen, der amerikanischen Standford University und der University of Southern Denmark.

 

Originalpublikation:

Kaeser et al. (2021): A neuronal blood marker is associated with mortality in old age. Nature Aging, 1, 218-225.
https://doi.org/10.1038/s43587-021-00028-4

Freier Zugang zum Paper: https://rdcu.be/ce82n



Weitere Informationen:

Research highlight in Nature

 

 

Stephan Käser. Foto: privat