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Der lange Weg zur Alzheimer-Demenz

Die Kettenreaktion, die zu den toxischen Protein-Ablagerungen führt, setzt viel früher ein als bisher gedacht. Tübinger Forschende zeigen, wie dieser Prozess frühzeitig gestoppt werden könnte.

Eine Alzheimer-Erkrankung schaukelt sich über Jahrzehnte hoch. Sie beginnt mit einer fatalen Kettenreaktion, bei der massenhaft falsch gefaltete Beta-Amyloid-Proteine entstehen, die das Gehirn am Ende regelrecht überschwemmen. Forschende um Mathias Jucker vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen und vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zeigen in der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“, dass diese Kettenreaktion bei Mäusen sehr viel früher beginnt als bisher angenommen. Damit gibt es neben der bekannten Frühphase der Erkrankung mit Protein-Ablagerungen aber ohne Demenz-Symptome eine noch viel frühere Phase, in der winzige, unsichtbare Aggregationskeime die Kettenreaktion in Gang setzen. Wenn sich das auch beim Menschen bestätigt, müsste eine an den Ursachen ansetzende Behandlung diese Aktion unterbinden. Die Forschenden haben bereits einen ersten Antikörper identifiziert, der das vielleicht leisten könnte.

Dafür haben sie unter den bereits bekannten Antikörpern gegen falsch gefaltete Beta-Amyloid-Proteine nach solchen gesucht, die auch diese frühen Aggregationskeime erkennen und möglicherweise beseitigen können. Von den sechs verwendeten Antikörpern zeigte nur der Antikörper Aducanumab eine Wirkung: Sogenannte Alzheimer-Mäuse, die noch vor dem Auftreten der ersten Proteinablagerungen für lediglich fünf Tage damit behandelt worden waren, wiesen später nur die Hälfte der sonst üblichen Menge an Ablagerungen im Gehirn auf. „Die kurze Behandlung mit Aducanumab hat die vorhandenen Aggregationskeime offensichtlich beseitigt und da die Bildung neuer Aggregationskeime Zeit braucht, werden in den Wochen und Monaten nach der Behandlung viel weniger Ablagerungen gebildet“, kommentiert Mathias Jucker die Ergebnisse. „Das Gehirn der Mäuse war am Ende zu 50 Prozent weniger geschädigt“.

Obwohl sich die Alzheimer-Forschung schon länger mit den Aggregationskeimen beschäftigt, weiß niemand so recht, wie sie aussehen. Sie werden derzeit nur über ihre Rolle als Auslöser für diese Kettenreaktion definiert. Damit ähneln sie den sogenannten Prionen, die bei Rindern BSE, bei Schafen Scrapie und beim Menschen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösen. Krankmachende Prionen zwingen ihren richtig gefalteten Artgenossen ihre abnorme Form auf. Jucker und sein Team nutzen den Antikörper Aducanumab deshalb auch dazu, um mehr über die Struktur der Aggregationskeime zu erfahren. Dabei konnten sie zeigen, dass Aducanumab Proteinaggregate erkennt, aber keine einzelnen Beta-Amyloid-Ketten. Die Wissenschaftler hoffen nun, den Antikörper als Angelhaken nutzen zu können, um diese Aggregationskeime zu isolieren und besser zu beschreiben.

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass wir uns mehr auf diese absolute Frühphase einer Alzheimer-Erkrankung konzentrieren und nach Biomarkern dafür suchen müssen. Wir brauchen auch weitere Antikörper, die unterschiedliche Typen der Aggregationskeime erkennen und uns helfen, zu verstehen, wie sie die Kettenreaktion auslösen und wie sie für eine Therapie eingesetzt werden können“, so Jucker.

In der Medizin besteht derzeit kein Zweifel darüber, dass die Behandlung einer Alzheimer-Erkrankung früher einsetzen muss, nicht erst, wenn das Vergessen schon begonnen hat. Die Ergebnisse der Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler definieren jetzt allerdings den Begriff der „Frühzeitigkeit“ bei Mäusen neu. Bisher gilt die Phase mit Protein-Ablagerungen aber ohne Demenz-Symptome als frühzeitig, die neuen Untersuchungen legen nahe, dass eine an den Ursachen ansetzende Behandlung von Alzheimer noch viel eher beginnen sollte.

  

Originalpublikation:

Uhlmann R.E., Rother C., Rasmussen, J. et al (2020): Acute targeting of pre-amyloid seeds in transgenic mice reduces Alzheimer-like pathology later in life, Nature Neuroscience.

DOI: doi.org/10.1038/s41593-020-00737-w

 

Autorenkontakt:

Prof. Dr. Mathias Jucker
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, Universität Tübingen und Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Tübingen
Otfried-Müller-Str. 27
72076 Tübingen

Tel: +49 07071 29 86863
E-Mail: mathias.jucker@uni-tuebingen.de

 

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