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Pionier der nicht invasiven Hirnstimulation bleibt am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung

Professor Dr. Ulf Ziemann, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen am Universitätsklinikum Tübingen und Direktor am Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung (HIH) hat den Ruf auf eine W3-Professur für Neurologie an der Medizinischen Hochschule Hannover mit ungeteilter Leitung der dortigen Klinik für Neurologie abgelehnt. Ziemann wird in Tübingen bleiben. Auf die Frage, was ihn zu dieser Entscheidung bewogen hat, verweist der Neurologe auf das einzigartige neurowissenschaftliche Umfeld auf dem Schnarrenberg. Das HIH gehört zusammen mit dem Centrum für Integrative Neurowissenschaften CIN, dem Tübinger Standort des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen DZNE und der Neurologie der Universitätsklinik Tübingen zu einem deutschlandweit einzigartigen Neuroscience Campus.

„Ich habe mir natürlich überlegt, wo ich meine wissenschaftlichen Visionen und Ziele am besten umsetzen kann“, sagt Ziemann über seine Entscheidung „und da sind die vielen Kooperationsmöglichkeiten auf dem Neuroscience Campus ein starker Pluspunkt für das HIH gewesen“.

Ziemann gehört zu den Pionieren der nicht invasiven Hirnstimulation, insbesondere der transkraniellen Magnetstimulation (TMS). Bei diesem Verfahren versuchen Ärzte, eine krankhaft veränderte Gehirnaktivität über ein pulsierendes Magnetfeld zu normalisieren. Dazu wird eine Magnetspule an den Kopf des Patienten gehalten. Das Magnetfeld induziert einen Stromfluss in den oberflächennahen Hirnregionen, der von den Nervenzellen aufgegriffen wird. Je nach Protokoll stärkt oder schwächt er die Aktivität der Nervenzellen. „Neuronale Netze können durch die TMS therapeutisch verändert werden“, erklärt Ziemann. „Bei therapierefraktärer Depression gehört das Verfahren in den USA zu den in den Leitlinien empfohlenen Behandlungen.“

Die TMS leidet allerdings darunter, dass die Wirkung schwankt. Einige Patienten profitieren sehr von dem Verfahren, andere sprechen gar nicht darauf an. Diese Unterschiede lassen sich derzeit nicht hinreichend erklären. Ziemann geht daher einen ganz anderen Weg. Er individualisiert die TMS, indem er auf den augenblicklichen Aktivitätszustand des Gehirns reagiert, statt mit festgelegten Protokollen zu arbeiten. Der Neurologe misst die aktuellen elektrischen Schwingungen während der Therapiesitzung mit einer Elektroenzephalographie (EEG) in Echtzeit und reagiert dann mit der TMS unmittelbar auf die tatsächlich vorhandenen Aktivitätsmuster. „Wir legen vor der Therapiesitzung fest, auf welche Ereignisse im EEG wir reagieren werden“ sagt Ziemann. „Dazu koppeln wir die Messung und die Stimulation an einen Echtzeit-Datenprozessor. Nur so können wir mit einer Latenzzeit von wenigen Millisekunden in eine bestimmte Oszillationsphase des Gehirns hinein stimulieren, was dann im besten Fall zur Verstärkung der physiologischen oder zur Abschwächung der pathologischen Aktivitätszustände führt“. Diese Vorgehensweise hat auch den Vorteil, dass das Stimulationsprotokoll immer wieder an gewisse Ereignisse im EEG angepasst werden kann, bis ein festgelegtes Therapieziel erreicht ist. Die dafür notwendige Rechnerleistung existiert erst seit Kurzem.

Wo stehen Ziemann und sein Team derzeit? „Wir arbeiten noch an den hirnphysiologischen Grundlagen“, sagt der Neurologe, „aber wir sind dabei das Konzept schon in einer ersten klinischen Pilotstudie bei Patienten mit Depression zu überprüfen“. Langfristig wollen Ziemann und sein Team das Verfahren vor allem zur Behandlung von Patienten mit Schlaganfall verwenden. „Dafür gibt mehrere Gründe“, sagt er. „Zum einen behandeln wir in unserer Klinik sehr viele Patienten mit Schlaganfall und deshalb sollten wir auch über die Erkrankung forschen, die wir tagtäglich behandeln. Es geht uns ja letztlich um Translation – um die schnelle Umsetzung von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in den klinischen Alltag. Zum anderen wissen wir, dass der Rehabilitationserfolg beim Schlaganfall mit bestimmten Veränderungen in den neuronalen Netzen des Gehirns einhergeht. Wir wollen versuchen, diese Veränderung durch die TMS zu verstärken und auszubauen. Eine der nächsten Aufgaben wird sein, eine klinische Studie dazu auf den Weg zu bringen“.

 

Professor Dr. Ulf Ziemann hat in Göttingen Medizin studiert, promoviert und habilitiert. Er ist Facharzt für Neurologie und Neurologische Intensivmedizin und lehrte als außerplanmäßiger Professor an der Goethe-Universität Frankfurt. Ziemann forschte drei Jahre lang an den National Institutes of Health in Bethesda, USA und hat 284 Originalveröffentlichungen in referierten Zeitschriften publiziert. Nach verschiedenen beruflichen Positionen an den Universitätskliniken in Göttingen, Düsseldorf und Frankfurt, wo Ziemann zuletzt als leitender Oberarzt und stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie tätig war, ist er seit 2012 Ärztlicher Direktor an der Universitätsklinik Tübingen und Vorstandsmitglied im HIH. Ziemann ist Mitglied in zahlreichen Fachgesellschaften und Gremien und gehört dem Herausgeber-Gremium einiger Fachzeitschriften an. Seit 2016 ist er Chef-Editor von „Clinical Neurophysiology“, dem Organ der International Federation of Clinical Neurophysiology.  

 

 

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