HIH News

Wenn das Gehirn Entscheidungen unabhängig von Handlungen trifft

Neue Studie aus Tübingen zeigt: Unser Gehirn repräsentiert Entscheidungen losgelöst von konkreten motorischen Handlungen – selbst wenn Entscheidung und Handlung eng gekoppelt sind.

Viele alltägliche Entscheidungen sind untrennbar mit bestimmten Handlungen verknüpft – etwa ein Griff zur Tasse, wenn wir Durst haben. Auch in der Forschung zu Entscheidungsprozessen wurde lange angenommen, dass Entscheidungen eng mit motorischen Plänen verbunden sind. Eine neue Studie unter Leitung von Prof. Dr. Markus Siegel und Erstautorin Dr. Katrina Quinn vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen stellt dieses Verständnis nun infrage: Selbst wenn die Zuordnung zwischen Entscheidung und Handlung über längere Zeit stabil bleibt, bildet das Gehirn Entscheidungen auf einer abstrakten Ebene ab – unabhängig von der auszuführenden Bewegung.

In der im Fachjournal Communications Biology veröffentlichten Studie nutzte das Team Magnetenzephalographie (MEG), um die Gehirnaktivität von Probandinnen und Probanden während einer Wahrnehmungsaufgabe zu messen. Dabei mussten sie entscheiden, ob sich visuelle Reize eher auf- oder abwärts bewegten und dies per Tastendruck mitteilen. Die Zuordnung zwischen Entscheidung („auf” oder „ab”) und Antworttaste blieb über viele Durchgänge konstant. Dennoch zeigte sich: Das Gehirn kodierte die getroffenen Entscheidungen unabhängig von Reiz und Antwort – in einem weitverteilten Netzwerk, insbesondere in fronto-parietalen Arealen.

„Diese Ergebnisse zeigen, dass unser Gehirn Entscheidungsinhalte abstrakt repräsentiert – selbst wenn eine konkrete Handlung unmittelbar bevorsteht”, sagt Erstautorin Dr. Katrina Quinn. „Das spricht dafür, dass abstrakte Entscheidungsprozesse ein grundlegender Bestandteil unseres Denkens sind – und nicht nur dann auftreten, wenn keine Handlung möglich ist.”

Die Studie trägt dazu bei, die Mechanismen des menschlichen Entscheidens besser zu verstehen – mit möglichen Anwendungen in der Kognitionsforschung und bei Störungen der Entscheidungsfindung.

Publikation:

Quinn KR, Sandhaeger F, Noury N, Zezelic E, Siegel M (2025) Abstract choice representations during stable choice-response associations. Communications Biology 8(1):75210
https://doi.org/10.1038/s42003-025-08129-1 

Foto: MEG-Messung am MEG-Zentrum Tübingen

Copyright: HIH